Artikel über MATRIX AM ZÜRICHSEE


Telefonierend auf der Suche nach Orientierung

Thalwiler Anzeiger, Thalwil / Zürich, 8. Februar 2005

Von Gabi Rosenberg

Der Bahnhof Thalwll, die Filiale der Zürcher Kantonalbank in Thalwll und eine Bahnunterführung in Küsnacht am Zürichsee - sie alle wurden von der Künstlerin Myriam Thyes vernetzt.

Neo und Trinity, zwei junge Hoffnungsträger, Erlöser und Kämpfer aus dem Film "Matrix", sind bis Ende März in Thalwil zu Gast: Die Künstlerin Myriam Thyes montierte sie in der Artbox beim Bahnhof. Sie begegnen Passanten in Form von sechs digitalen Drucken auf lichtdurchlässiger Folie in den Artboxen auf Gleis 4 und 6. lm Dunkeln leuchten sie vielversprechend und reizen zum Nähertreten. Gleichzeitig sind in Küsnacht in Vitrinen des Künstlervereins "Artischock" in der Bahnhofsunterführung deren prophetische Eltern-Gestalten Morpheus und Orakel zu Gast. Natürlich mit einem Hinweis auf Thalwil. Und schliesslich gibt es als dritten Ort mit Myriam Thyes' Arbeiten die Schalterhalle der Zürcher Kantonalbank. Dort sind Bilder aus dem bekannten Film "Terminator 2", verbunden mit Bibelzitaten und umgeben von kitschigen Goldrahmen, zu sehen.

Die Vernetzung, die diese Parallelausstellungen aufzeigen, spiegelt die Arbeits- und Denkweise der Multimedia-Künstlerin. Anlässlich der Vernissage vom Samstag im gemütlich warmen Wartesaal und begleitet von der Südhang-Weindegustation, erläuterte die junge Zürcherin mit Wohn- und Arbeitsort Düsseldorf, wo sie von 1986 bis 1992 Malerei und Videokunst studiert hat, spontan den Hintergrund ihrer Arbeiten. Inhaltlich und formal geht es ihr vor allem um die Analyse und Umwertung bekannter kultureller (Macht- und Glaubens-) Symbole - ob aus Religionen, Hollywood-Filmen oder der Politik. Dabei bilden Themen wie Geschlechterrollen, Migration, Kolonialismus die Schwerpunkte. Im Film Matrix wird immer telefoniert, wenn sich die Helden in der virtuellen Welt aufhalten und Kontakt zur realen (Untergrund-) Welt und zu ihrer Steuer-Zentrale suchen. Das bedeutet in Matrix auch konkret: Telefonieren schafft die Verbindung zwischen Denken und Körper. Vor allem auf der Flucht, auf der Jagd und im Kampf wird telefoniert. "Beides kann", so Thyes, "als Metapher für unsere zeitgenössische Gesellschaft der vermittelten Kommunikation, der Orientierungssuche und des Zeitdrucks gelten." In den Artbox-Kabinen, die jetzt Telefonkabinen gleichen, lässt Thyes Neo und Trinity telefonieren, fallen, jagen, kämpfen. Mit Mehrfach-Darstellungen einer Person auf einem Bild beziehungsweise in einem Fenster deutet die Künstlerin die Selbstbezüglichkeit der Figur an - und dass sie sich gleichzeitig in verschiedenen Szenen, Räumen und Realitätsebenen bewegt. "Erstaunlich spekulative Modellwelten" seien ihr dazu in Texten von C. G. Jung begegnet. Mit deren Montage konfrontiert die Künstlerin die Betrachter gekonnt mit dem Dilemma von Denken, Sehen und Fühlen, dem die Passanten in der medial geprägten Welt tagtäglich ausgesetzt sind.

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